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Material

materialHolz ist mehr als nur ein Werkstoff. Jedes Stück ist geprägt durch Spuren des Lebendigen, ist einzigartig und unwiederholbar. Gealtert durch Wetter und Gebrauch entwickelt es neue Qualitäten. Das Sonnenlicht gestaltet Farbe und Textur.Trockenheit und Feuchte verändern seine Physiognomie. Sogar im Verfall zeigt es noch Charakter.

Ausgangsstoff für die Skulpturen sind alte Balken, rohe Stücke und Stämme, die gewöhnlich als Abfall- oder als Brennholz gelten. Jedes dieser Hölzer hat seine eigene Herkunft und Geschichte. Viele vom Alter und Gebrauch gezeichnete Balkenstücke wurden aus Abbruchhäusern und Ruinen gerettet. Manche Funde wurden beim Wandern in den Bergen auf der Schulter ins Tal getragen. Andere Stücke vom Wind geborstener oder abgestorbener Bäume konnten vor der Brennholzsäge gerettet werden. Auch im Schwemmholz an Seen und Flüssen finden sich oft interessante Rohlinge. Mancher Ausstellungsbesucher besann sich auf ererbte oder von irgend einer Reise mitgebrachte, uralt abgelagerte Stücke und ließ sie mir zukommen.

So ergibt sich eine vielfältige Herkunftsgeografie von Sizilien bis Nordschweden. Nicht nur die Baumart und ihr Lebensraum, sondern auch die Verarbeitungs-, Gebrauchs-, und Verfallsspuren geben jedem Stück sein eigenes Gesicht. Daran versuche ich mit meiner Arbeit anzuknüpfen indem ich mich von den Eigenheiten und Konturen der vorgefundenen Stücke bei der Formgebung und Bearbeitung leiten lasse.

Formen

formenFormbildungsprozesse können wir in allen Bereichen der Natur, in unserem Körper und in dessen Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit studieren. Zeichnen (siehe auch hier) und Schnitzen sind Möglichkeiten zur Annäherung. Aus meiner Tätigkeit im Bereich der Architektur stellten sich Fragen nach den Ursprüngen und Gesetzen der Linie, der Form, des Ausdrucks, der Geste, des Zeichens (siehe „Die Linie als Bewegungsspur“ pdf).

Dabei entwickelte sich eine von den vordergründig zweckgerichteten Aufgaben des Architekten losgelöste Arbeit mit Materialien und deren jeweils besonderen Qualitäten. Das Interesse am Holz ergab sich auch aus einer alten Liebe zu Bäumen, aus der Arbeit an Fachwerkhäusern mit ausgedienten, zum Wegwerfen „viel zu schönen“ Balkenresten, die durch ihre Gebrauchs- und Verfallsspuren eine spezifische Faszination ausüben, wie sie jeder vom Treibholz am Strand kennt. Es stellte sich die Frage ob und wie in diese selbstgefällige Schönheit eingegriffen werden kann oder darf. Wie kann dem „wertlos“ gewordenen Stück Holz ein neuer „Wert“ gegeben werden, um es auf eine neue Stufe des Daseinsprozesses zu transponieren.

Beim Umgang mit Bäumen und Holz treten uns in den Wuchsformen, Rinden und Hölzern Abbilder äußerst dynamischer Bewegungsvorgänge vor Augen, je älter der Baum umso ausgeprägter. Manchmal sind diese Formen kaum unterscheidbar von denen strömender Flüssigkeiten oder atmosphärischer Wolkenbildungen. Das Formenrepertoir von Mikroerscheinungen wie Kräuselungen auf Wasseroberflächen und Zigarettenrauchfiguren unterscheidet sich kaum von dem der Erdatmosphäre, das wir aus Satelitenbildern kennen.

Das Bild zeigt weder Baum noch Pflanze sondern das abfließende Wasser im Wattenmeer.

Die Geschichte von den sieben Balkenköpfen

In der Sprache der Zimmerleute ist ein „Balkenkopf“ nichts als das Ende eines Balkens. Vor sieben Jahren gab es in Dachtel am steilen Hang ein altes Haus zu kaufen. Die Kellerdecke, oben säuberlich mit Linoleum belegt, bot unterwärts ein Bild der Verwüstung. Die dunklen, angemoderten Balken sahen aus wie die Wurzeln eines Baumes. Der etwas gruselige Eindruck des Lebendigen wurde hervorgerufen durch das netzartige Pilzmyzel und die abgefaulten bizarren Enden zur feuchten Bergseite hin. Die Vorbesitzer hatten zur Einebnung des abschüssigen Gartens bis über den Sockel Erde angefüllt. Das war ein idealer Nährboden für die phantastischsten Holzzersetzungspilze, die über die Jahre das Schwellenholz zu krümeligem Kompost und die Enden der eichenen Deckenbalken zu bizarren Köpfen verwandelten, was schließlich den Kaufpreis des Hauses auf den Grundstückswert reduzierte. Wir zogen in den noch intakten Rest des Hauses ein und machten dem Spuk ein Ende, indem wir die Balken unterstützten, den Gartenboden abgruben, sowie für Luft und Wärme sorgten. In wenigen Monaten war alles trocken. Die hangseitige hölzerne Kellerdecke und der Sockel wurden dann nach und nach durch Beton und Ziegel ersetzt.

Als die Balken losgelöst von der Decke dalagen, zeigte jeder von ihnen seinen „persönlichen“ Charakter und wir brachten es nicht übers Herz, sie einfach auf den Müll zu fahren. So blieben sie aufrechtstehend, teils im Freien, teils unter Dach und warteten auf ihre Erlösung, die dann im siebten Jahr nach unserem Einzug langsam realisiert wurde. Sieben Balken trugen die Decke und so sind es sieben Individuen geworden, dem Charakter ihres Urzustandes abgelauscht, verwandelt und zu neuem Leben erweckt. Dem Moder entrissen, den Kopf gelüftet, gebürstet, besägt, beklopf, beschnitzt und mit steinernen Herzen bestückt, führen sie nun ein neues aufrechtes Dasein.

Die Formen sind einerseits inspiriert vom Spuk des modernden Hauses, anderseits ist durch das steinerne Implantat ein samenhaft zukünftiger Impuls angedeutet, von dem der Eichbaum noch nichts ahnte, als er vor über hundert Jahren noch im nahen Wald grünte, als aus seinen Zweigen der Kukuk rief und die alten und jungen Dachteler ihre Geldbeutel schüttelten, wenn es das erstemal im Jahr war. Jedenfalls soll in der hier angedeuteten Eichbaumgeschichte mit diesen Figuren ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.

Die Titel sind den sieben Wochentagen entliehen, in denen Gott die Welt erschaffen hat und nach denen wir bis heute usere Fort- und Rückschritte bemessen. Zu dem ruppig betagten Äußeren traten Einschnitte, Kerben, Durchbrüche, in denen das teils noch Unversehrte des Holzes, aber auch vorher nicht geahnte, morsche Adern ans Licht kamen. Es galt das Material so zu schneiden, daß das alte, rauh Geschundene mit dem neu Geformten ins Gespräch kommt. (Klaus Korpiun, 1999)

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